Das Tun und Nicht-Tun im Sei-ki

von | Sep 1, 2023

Im Laufe der Jahre wurde in unzähligen Sei-ki-Workshops und Diskussionen gesagt, dass das Herz von Sei-ki Nicht-Tun sei. Während Kishi an einer Person arbeitete, zeigte er oft auf einen Punkt und sagte so etwas wie „hier gibt es nichts zu tun“, und dies ist „Nicht-Tun“, „nicht nötig, hier etwas zu tun“. Doch was bedeutet das eigentlich?

Das Nicht-Tun im Üben von Sei-ki kann manchmal eine Art schlaffes Nichts sein, ohne Konzentration oder Gefühl. Dies kann durchaus eine wichtige Phase im Lernprozess sein, ist aber nicht das Ziel. Nicht-Tun ist auch nicht eine Art Aktivität, die quasi durch äußere Stille oder Nicht-Manipulation belegbar ist. In der Regel ist hierin sogar reichlich Tun.

Eine Sei-ki-Sitzung kann sehr aktiv aussehen. Die Arbeit kann sogar durchaus physisch erscheinen. Nein, im Nicht-Tun geht es darum, den Moment einzufangen und Veränderungen zu erkennen. Das Nicht-Tun kann eine Millisekunde dauern. Es kann sich auch durchaus jenseits der Zeit abspielen. Aber es ist wesentlich.

Es gibt im Sei-ki natürlich auch viel Tun. Die Klientin kommt in die Praxis und es findet Vorbereitung statt. Beide lassen sich auf der Behandlungsmatte nieder. Ich, als Behandlerin, bewege mich hin zu der Klientin. Es gibt ein Tun, um den richtige Abstand zu finden, den ersten Punkt. Wenn ich den Atem beobachte, ist auch da ein Tun. Ich beschließe, zuzusehen, zu berühren, zuzuhören, mich einzulassen. Dies alles kommt von meinem Willen. Es ist meine Wahl, ja meine Handlung. Auch wenn die Aktivität selbst vielleicht gering und ruhig ist.

In Resonanz mit der Klientin wird es fließend und leicht. Es scheint weniger Tun zu geben. In jedem Fall ist jetzt weniger Anstrengung vorhanden. Die Punkte zeigen sich. Das Gefühl kommt zu mir. In diesen Momenten jenseits der Zeit gebe ich mich hin, ich lasse los. Während die Schritte dort hin aus der Kraft des Willens entstehen, ist die Hingabe… nun einfach Hingabe. Den Rahmen dafür bildet das Bemühen. Es ist ein Paradox: Bemühung bis zur Aufgabe, der Hingabe, dem Loslassen.

Das Nicht-Tun im Sei-ki hat viel mit dieser Hingabe zu tun, doch ist das nicht alles und auch nicht das Wichtigste. Der entscheidende Punkt ist, dass, wenn Du erkennst, wie es für die andere Person ist, Du genauso in diesem Moment erkennst, dass es in der Tat nichts zu tun gibt.

Dies ist keine therapeutische Strategie oder Technik oder Herangehensweise. Es ist vergleichbar damit, wenn Du z.B. erkennst, dass eine andere Person (oder auch Du selbst) in einer ausweglosen Lage steckt, einem Dilemma und es bleibt Dir nichts, als dies anzuerkennen. Du weißt, es gibt jetzt nichts zu tun, gar nichts. Und dies ist nicht das Erkennen einer Art von Sinnlosigkeit wie in „es hat keinen Sinn, etwas zu tun“. Tatsächlich gibt es hier ganz endgültig und gar nichts zu tun.

Dies erfordert eine besondere Art geschulter Beobachtung, die sich im Sei-ki-Training übt. Bei der vollständigen Beobachtung dessen, wie es ist, kommt die Veränderung. Du kannst diese Veränderung nicht erreichen, durch den Einsatz einer bestimmten Technik. Du kannst diese Veränderung auch nicht ermogeln, indem Du scheinbar nichts tust, während Du tatsächlich versuchst, eine Veränderung herbeizuführen. Dies ist oft das, was die etablierten therapeutischen Ansätze versuchen. In dieser Hinsicht – und das ist sehr wichtig – ist Sei-ki keine Therapie. Obgleich die Ergebnisse wie eine Therapie aussehen.

Sei-ki erfordert nicht nur ein tiefes Verständnis dieses Zusammenhangs, sondern es braucht das verkörperte Wissen, dass ein aktives Herbeiführen von Veränderung weder möglich noch relevant ist. An dem Punkt des plötzlichen Erkennens verspürst Du ein kleiner Freudensprung beim Sehen genauso wie beim Gesehenwerden. Das ist Nicht-Tun. Und zwar nicht, weil Du plötzlich aufhörst, etwas zu tun, um es nicht zu tun, sondern weil es hier nichts zu tun gibt.

Wenn Du die Sonne untergehen siehst, kannst Du nichts tun. Du würdest nicht mal auf die Idee kommen, dass es in Deiner Macht läge, diesen Sonnenuntergang irgendwie zu beeinflussen. Es mag Dir nicht gefallen, dass die Sonne untergeht und Du wünschst Dir vielleicht, dass dieser schöne Moment für immer bliebe, doch ganz sicher setzt Du keine ausgefeilten Strategien ein, um an dem Vorgang etwas zu ändern.

Doch im Kontakt mit anderen Menschen ignorieren wir dies in der Regel. Wir bilden uns ein, dass wir erfassen und verändern können. Wir erkennen die Wahrheit nicht, wie sie wirklich ist.

Im Sei-ki lernt man wahre Beobachtung. Man lernt den Punkt des Nicht-Tuns zu erkennen.

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