Nichts ist sicher

von | Mai 10, 2024

Es wird in Zukunft auf jeden Fall etwas passieren, auf das wir jetzt nicht vorbereitet sind. Vielleicht schon heute. Vielleicht werden wir krank oder es stirbt ein guter Freund. Vielleicht brennt mein Haus ab oder es wird mir mein neu und teuer erworbenes Fahrrad geklaut. Nichts ist sicher und alles ist in stetem Wandel. Und doch sehnen wir uns so sehr nach Sicherheit und Verlässlichkeit. Meinen wir sie zu haben, so sind wir uns meist besonders sicher, dass sie bleibt.

In der Prozessbegleitung müssen wir das aufgeben.

Kontrolle und der Versuch, auf der sicheren Seite zu sein, stehen im krassen Gegensatz zu dem, was diese Arbeit so kraftvoll macht: Der direkte Kontakt, von Mensch zu Mensch, von Herz zu Herz, mitten rein in die unvorhersehbaren Bewegungen des Lebens.

Früher habe ich mich sehr gerne, fast schon leidenschaftlich festgehalten an den frisch gelernten und in meiner Ausbildung teuer bezahlten Konzepten. Ich habe den Klienten bestimmte Fragen gestellt, hatte einen relativ festen Behandlungsplan, mit dem ich mich durch die Sitzung bewegt habe, hatte meine Raster für die Befundung und wollte in einer Stunde schlicht eine richtig gute Behandlung geben. Wobei ich auch zu dem, was ich als gut empfand, eine ganz konkrete Idee im Kopf hatte. All das gab mir Sicherheit und ließ mich mutig rausgehen mit meiner Arbeit.

Prozessarbeit muss authentisch sein

Doch all das wurde regelmäßig von meinen Klienten über den Haufen geworfen. Embody Prozessarbeit ist authentische Begegnung. Nichts lässt sich festhalten in einer authentischen Begegnung. Und erst hier wird es so richtig spannend. Ein Fluss sucht sich seinen Weg, wenn er nicht eingemauert wurde. Oft sind wir überrascht von der neuen Richtung, die er einschlägt.

Doch auch die Klienten kommen meist mit festen Vorstellungen. Sie wollen eine Lösung für ihr Problem. Eine Lösung, die sie wieder in Sicherheit bringt. Und gerne auch eine Lösung die eine gewisse dauerhafte Gültigkeit hat. Sie wollen auch wissen, wie lange die Sitzung dauert, was sie denn „haben“, wie oft sie wieder kommen müssen und überhaupt, was genau ich eigentlich tue und kann. Wenn wir ganz ehrlich sind, können wir keine dieser Fragen beantworten, und zwar nicht mal im Ansatz. Wir wissen nichts. Wir projizieren einzig aus unserer Erfahrung und der Erfahrung anderer auf die Zukunft oder die aktuelle Situation. Doch von dem Leben, welches durch den Körper und das Wesen der Person, die zu uns in die Praxis kommt, zum Ausdruck kommt, haben wir nur eine vage Ahnung. Und das ist auch gut so. Hier kommen wir dem Geist der Prozessbegleitung näher. Je mehr Sicherheit wir mit dem wollen, was wir tun, umso mehr beschränken wir unsere Möglichkeiten und natürlich auch die Möglichkeiten unserer Klienten. Ganz so wie in dem Bild mit dem eingemauerten Fluss.

Die Möglichkeit sind unendlich vielfältig und dem kann ich Raum geben – es zulassen. Darum geht es viel mehr, als um das Beheben eines Symptoms oder das Stillen eines Bedürfnisses.

Heute fokussiere ich mich in meiner Arbeit sehr auf meine innere Haltung und nicht auf die Anwendung von Konzepten. Die Basis bleibt das Handwerk mit all den Techniken, den verschiedenen Zugängen und dieser besonderen Art der Berührungsqualität. Doch all das wäre nichts ohne eine klare innere Haltung mit folgenden Prinzipien.  

 

 

Achtsamkeit – Liebe – Freiheit – Gelassenheit

Achtsamkeit… lässt mich wahrnehmen

Liebe… lässt mich in Verbindung gehen, von Herz zu Herz

Freiheit… lässt mich nichts festhalten

Gelassenheit… lässt mich im Frieden sein

 

 

Zwei Sitzungen können sich sehr unterschiedlich anfühlen und sogar ganz verschieden aussehen. Und jede Einzelne ist eine Überraschung, auf die ich nicht vorbereitet bin. Somit kann es auch keine Sicherheit geben. Nichts ist sicher. Nichtmal, ob die Klientin am Ende bezahlt und wieder kommt. Damit müssen wir leben. Es kann sogar sein, dass eine Klientin während meiner Behandlung einen Herzinfarkt oder einen epileptischen Anfall bekommt. Nichtmal meine Versicherung schützt uns davor. Jeder Schritt, den wir gehen, wird gefolgt von einem neuen Schritt. Schon der übernächste Schritt ist kaum noch zu erfassen, geschweige denn zuverlässig zu planen.

So lade ich dich ein, dich von der Scheinsicherheit wehmütig aber entschlossen zu verabschieden. 

 

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